Israel Regardie, Psychotherapie und Initiation
von David Griffin und Cris Monnastre
Copyright ©1995
(dieser Artikel erschien erstmals im Gnosis Magazin in der Zehnten Jubiläums-Edition. Deutsche Übersetzung Th. Schwarze ©2007)
Der Hermetische Orden des Golden Dawn und der Ordo Rosae Rubeae et Aureae Crucis sind zwei Unterteilungen eines initiierenden und magischen Ordens, der 1888 bzw. 1892 von hochgestellten Freimaurern (Woodman, Westcott und MacGregor Mathers) in England gegründet wurde.
Wenn auch der Ursprung des Ordens verborgen und kontrovers ist, so liegt dennoch seine historische Bedeutung vor allem in seiner brillanten Synthese von mythischem und magischem Material aus so unterschiedlichen Quellen wie der Fama Fraternitatis (das erste veröffentlichte Rosenkreuzer-Dokument), dem Ägyptischen Buch der Toten, den Werken von Cornelius Agrippa, Tycho Brahe und John Dee. Herausragende Aspekte des theurgischen Systems des Ordens wurden erstmals 1937 vom mittlerweile verstorbenen Israel Regardie veröffentlicht. Dieses Material hat die meisten Gebiete moderner Magie beeinflusst, sowie viele andere Bereiche der Spiritualität.
Israel Regardie (1907-1985) war ein bedeutendes generationenübergreifendes Bindeglied zur magischen Erneuerung des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, sowie ein Pionier in seinem Versuch, Magie und Psychotherapie zu verbinden. 1907 geboren, kannte Regardie als junger Mann sowohl Aleister Crowley (1875-1947) als auch Dion Fortune (190-1946), beide frühe Adepten des Ordo Rosae Rubeae et Aureae Crucis (R.R. et A.C.), welche beide später ihre eigenen esoterischen Bruderschaften gründeten. Regardie war eingeweiht in die Stella Matutina ( „Morgenstern“), einem frühen Ableger des Golden Dawn. Und schließlich war Regardies Arbeit bahnbrechend in dem Versuch, Psychologie und Magie zu verbinden.
Als Regardie ein junger Mann war, wünschte er sich sehnlichst ein Magier zu werden. Er hielt Aleister Crowley für den fortschrittlichsten Magier dieser Zeit und, nachdem er sich durch einen Brief, in dem er seine Bewunderung für Crowley ausdrückte, bei Crowley vorgestellt hatte, begann er 1928 als dessen Privatsekretär in Paris zu arbeiten. Nach einigen Jahren bei Crowley war Regardie gezwungen zu gehen, als Resultat eines schmerzhaften Zerwürfnisses mit Crowley. Das Trauma, das durch diese Trennung entstand, verletzte Regaride tief; er sagte später, dass er fast sieben Jahre brauchte, um sich davon zu erholen.
Verarmt und verwirrt, wurde Regardie als Hausgast bei Dion Fortune aufgenommen, die im Südwesten Englands in der Nähe von Glastonbury lebte. Fortune war nicht nur eine begabte Magierin, sondern auch von Geburt an hellsichtig. Bis zu seinem Tode vergaß Regardie nie ihre Großzügigkeit und Gastfreundschaft während dieser schweren Phase.
Dion Fortune beeinflusste Regardie in einer völlig unvorhergesehenen Weise. Sie war federführend dabei, Sigmund Freuds Ideen in England zu verbreiten und hatte eine Sammlung von Kurzgeschichten geschrieben, mit dem Titel „Die Geheimnisse des Dr. Taverner“. Obwohl sie diese Kurzgeschichten als Fiktion bezeichnete, sagte sie, dass Dr. Taverner tatsächlich existierte und das die Geschichten echte Fallstudien seien, in denen psychologische und magische Prozesse verbunden waren.
Es war an Dion Fortunes Tafel, dass Regardie zuerst mit den Ideen Freuds und C.G. Jungs in Berührung kam. Kurz danach, noch in seinem Kampf mit den Emotionen, die aus dem Zerwürfnis mit Crowley rührten, begann Regardie erst eine Freudsche Psychoanalyse, später eine Jungianische Analyse. In dieser Zeit wurde ihm bewusst, welch große Rolle ungelöste, aus seiner Kindheit stammende Konflikte bei seinem Bruch mit Crowley gespielt hatten. Regardie schloss daraus, dass derart ungelöste Infantilität verantwortlich war für die häufig chaotische Gruppendynamik früher esoterischer Bruderschaften. Dies brachte ihn dazu, auf der Notwendigkeit von Psychotherapie für jeden zu bestehen, der ernsthaft irgendeine spirituelle Disziplin ausübt.
Regardie ging später in die USA, wo er mit Wilhelm Reichs Ideen vertraut wurde und sich in Reichianische Therapie begab. Er begann, mit Reichs Tochter Eva zu korrespondieren, die ihn anregte, sich ernsthaft mit der Körper-Seele-Verbindung zu beschäftigen und sich später als Chiropraktiker ausbilden zu lassen.
Selbst gegen Ende seines Lebens respektierte Regardie sowohl die Freudsche Psychoanalyse als auch die Ideen C. G. Jungs. Er glaubte jedoch, dass die Jungianische Therapie so wie er sie erlebt hatte, einen Mangel an effektiven Techniken aufwies. Er schloss daraus letztendlich, dass jede Form von Gesprächstherapie im Licht Reich´scher Körperarbeit verblasste, und dass eines Tages Techniken der zeremoniellen Magie mächtige Hilfsmittel der Psychotherapie werden würden.
Als Therapeut und Bodyworker kombinierte Regardie Reichs Ansatz mit kleineren chiropraktischen Anwendungen, magischen Grundtechniken und Hatha Yoga. In einer typischen Session begann Regardie damit, dass er beim Klienten tiefes rhythmisches Atmen für eine längere Zeitspanne einleitete. Diese Hyperventilation erzeugte einen leicht veränderten Bewusstseinszustand. Während dieser Phase beobachtete Regardie verschiedene Körperregionen und verminderte ihre Verspannung durch eine tiefe -und manchmal auch schmerzhafte-- Massage.
Sowohl Reich als auch Regardie waren der Auffassung, dass unbewältigte emotionale Konflikte als Verspannung im Körper gespeichert wurden. Einen physischen Ansatz zu nutzen würde diese Blockaden befreien, sodass die Lebensenergie, welche Reich als „Orgon- Energie“ bezeichnete, frei den ganzen Körper durchströmen konnte. Im Verlauf einer Sitzung tauchten oftmals große Mengen von (zuvor in körperlichen Verspannungen festgehaltener, Anm. d. Übers.) Emotion auf, wobei der Klient ermutigt wurde, diese auszudrücken.
Regardie verglich oft die Reich´schen Ideen mit der Magie des Hermetischen Ordens des Golden Dawn. Er war besonders angetan von einer Übung, genannt das Ritual der Mittleren Säule. Bei diesem Ritual visualisiert der Magier eine Abfolge von Lichtsphären über, unter und entlang der Wirbelsäule, während er bestimmte Worte vibrierte ( „vibrieren“ ist eine Technik, bestimmte Klänge zu summen oder zu singen, wobei sie eine Art Kribbeln, also eine Vibration im Körper erzeugen. Anm. d. Übers.). Dies erzeugt eine bestimmte Art von Energie, die, nach Regardie, identisch mit Reichs Orgon- Energie ist. Diese Energie wird dann mit Hilfe weiterer Visualisation um und im Körper zirkuliert.
Legitime esoterische Orden haben immer primär versucht, einen Kontext zu schaffen, in dem Initiation sicher und effektiv eintreten kann. Wie hier gezeigt werden wird, gibt es viele Parallelen zwischen einer Initiation und Formen der Psychotherapie, die die spirituellen Dimensionen des Wachstums berücksichtigen. Regardie riet sogar dazu, die beiden als komplementäre Prozesse zu sehen, und dass Initiation immer von irgendeiner Form der Psychotherapie begleitet werden sollte.
Regardie hielt natürlich die Reichianische Therapie für die nützlichste Begleitung magischer Arbeit. Angesichts fehlender reichianischer Therapeuten sind jene Schulen geeignet für die Therapie begleitend zum magischen Training, die spirituelles Wachstum in ihr Paradigma aufgenommen haben, wie die Jung´sche und die Transpersonale Richtung, oder Psychosynthese und die neu aufkommende Schule der Esoterischen Psychologie.
Warum braucht ein Kandidat für Initiation eine Psychotherapie? Jede Form spiritueller Arbeit, die mit genügend Ernsthaftigkeit und Disziplin ausgeübt wird, wird irgendwann das aktivieren, was Jung die Komplexe des persönlichen Unbewussten nannte. Diese komplexe können definiert werden als infantile emotionale Muster, die aus der sehr frühen Kindheit übrig geblieben sind und sich um ungelöste Eltern-Kind-Konflikte drehen. Diese Komplexe sind im Diagramm weiter unten durch die sieben Köpfe des Drachen symbolisiert. Oft werden sie durch spirituelle Praktiken energetisiert.
Wenn die Komplexe nicht in sicherer und kontrollierter Weise ins Bewusstsein aufsteigen dürfen, können sie auf gefährliche Art ausgelebt werden. Dies erklärt, warum manche „spirituelle“ Gruppen arbeitsunfähig oder manchmal auch (selbst-)zerstörerisch wurden.
Zugegeben, Initiation und Psychotherapie zu kombinieren bereitet einige Schwierigkeiten. Während es unwahrscheinlich ist, dass Psychotherapie der Effektivität einer Initiation oder eines anderen grundlegend spirituellen Prozesses schadet, so kann sich doch nicht jeder, der Initiation sucht, die nicht unbeträchtlichen Ausgaben für Psychotherapie leisten. Weiter mag es für den durchschnittlichen Laien schwierig sein, einen geeigneten von einem inkompetenten Psychotherapeuten zu unterscheiden. Unglücklicherweise sind ungeeignete und destruktive Therapeuten meist leichter zu finden als fähige, und das Gleiche ist für Initiatoren und initiierende Orden wahr. Viel zu viele esoterische Gruppen sind hauptsächlich vom Verlangen ihrer Führer nach Geld oder manipulativer Kontrolle über andere beeinflusst.
Wahre Initiation ist ein Prozess, bei dem, wie in einer Psychotherapie, das Können und die persönliche Ethik des Initiators entscheidend für einen Erfolg sind. Mehr noch, die Beziehung mit einem unehrenhaften Initiator kann so schädlich sein wie die mit einem unehrenhaften Psychotherapeuten. Jeder, der um Initiation nachsucht, muss daher schärfstes Unterscheidungsvermögen aufbringen bei der Wahl eines Initiators oder eines Ordens.
Der Suchende muss ebenfalls unterscheiden zwischen initiierenden Orden und Persönlichkeitskulten, da viel zu viele spirituelle Gruppen um die Persönlichkeit eines charismatischen aber manipulativen Führers herum aufgebaut sind. Dieses Phänomen, zusammen mit der Nichtbeachtung psychologischer Probleme die auftauchen können, trägt Schuld an den vielen Missbräuchen, die die esoterische Gemeinschaft plagen.
Eine Analyse der einer Initiation zugrunde liegenden psychologischen Dynamik wird helfen, die Ursachen solcher Vorfälle zu verstehen. Der initiatorische Prozess des Hermetischen Ordens zur Goldenen Dämmerung® zeigt klar die Gefahren wie auch das Potenzial einer Initiation auf. Doch wollen wir erst die primären Unterschiede zwischen Initiation und Psychotherapie betrachten.
Initiation, wie der Name schon sagt, kann als Neubeginn definiert werden. Im Golden Dawn- System hat der initiatorische Prozess sowohl eine magische als auch eine psychologische Komponente. Die magische Komponente kann als systematische Erweckung oder Entflammung bestimmter Kräfte in der „Sphäre der Empfindung“ des Initianden gesehen werden. ( Die „Sphäre der Empfindung“ ist der Begriff, der im Ordo Rosae Rubeae et Aureae Crucis benutzt wird, um das zu beschreiben, was gemeinhin als Energiekörper oder als Aura bezeichnet wird.)
Dieser Prozess erfordert einen Initiator, in dem diese Kräfte bereits erweckt und aktiv sind, denn Initiation wird durch eine tatsächliche Energie-Übertragung ausgelöst. Daher ist aus magischer Perspektive die Beziehung zwischen dem Initiator und dem Kandidaten entscheidend. In diesem Sinne ist echte Selbst-Initiation, wenn nicht völlig unmöglich, so doch sehr schwer zu erreichen. Es ist jedoch möglich, wenn auch schwierig, viel dieses magischen Zieles der Initiation zu erreichen; durch systematisches und wiederholtes Anrufen der korrekten magischen Energien mittels zeremonieller Magie.
Obwohl viel über den Hermetischen Orden des Golden Dawn geschrieben wurde, wurde doch fast nichts über den gesamten Initiations-Prozess gesagt, in dem der Golden Dawn nur der erste Schritt ist. Von Anfang an wurde dieses System als aus zehn Graden bestehend angelegt; jeder Grad einer Sephirah am Baums des Lebens entsprechend, und insgesamt in drei Ränge unterteilt, jeder davon einem eigenen Orden entsprechend. Jeder nachfolgende Orden ist verschleiert vor dem vorhergehenden, durch die Schleier der Nephthys und Isis (genannt Paroketh).

Der Erste Rang und Orden besteht aus dem Curriculum und den Initiationen des Hermetic Order of the Golden Dawn®. Die Grade des Ersten Ranges beginnen mit der Neophyten- Initiation und entsprechen den Sephiroth Malkuth, Yesod, Hod und Netzach.
Der Zweite Rang und Orden ist der des Ordo Rosae Rubeae et Aureae Crucis®. Die Grade des Zweiten Ranges beginnen mit der Probezeit im Grad des Portals ( zum Gewölbe der Adepten) und entsprechen den Sephiroth Tiphareth, Geburah und Chesed. Der Dritte Rang und Orden ist der Ordo Argentei Astri® ( allgemein als dritter Orden bezeichnet). Die Grade des Dritten Ordens entsprechen den Sephiroth Binah, Chokmah und Kether; und sie beginnen mit der Probezeit und Initiation in das Portal des Abyss ( der Abgrund, der der Nicht-Sephirah Daath entspricht).
Im Ersten Orden werden die magischen Kräfte im Kandidaten durch den Initiator erweckt, aktiviert und balanciert, in den Ritualen selbst. Diese Kräfte sind die der traditionellen Elemente; Feuer, Luft, Wasser, Erde und Geist; welche durch das Pentagramm symbolisiert werden. Mit dem Zweiten Orden beginnend wird durch die individuelle Praxis zeremonieller Magie dieser Prozess sehr verstärkt. Der Zweite Orden aktiviert hauptsächlich die Energien der sieben traditionellen Planeten: Saturn, Jupiter; Mars, Sonne, Venus; Merkur und Mond; diese werden durch das Hexagramm symbolisiert. Weiter lernt der Adept im Zweiten Orden unabhängig mit den Elementen in einer Serie von Sub- Graden zu arbeiten, was diese Energien in seiner Aura weiter differenziert. Der Dritte Orden aktiviert hauptsächlich die Kräfte des Zodiaks; sowie die alchimistischen Prinzipien Salz, Schwefel und Quecksilber, welche durch ein Dreieck symbolisiert werden. Damit umfasst die Arbeit des Dritten Ordens Alchemie als psycho-spirituellen Prozess ebenso wie zeremonielle Magie.
Nachdem wir nun den magischen Aspekt der Initiation untersucht haben, können wir nun die Symbolik des Rosenkreuzes verstehen, welches vom Ordo Rosae Rubeae et Aureae Crucis benutzt wird. Obwohl sein Bild zu vielschichtig ist, um hier erschöpfend behandelt zu werden, wollen wir doch darauf hinweisen, dass dieses Rosenkreuz symbolisch die Kräfte abbildet, wie sie im Energiekörper eines voll eingeweihten Adepten erweckt sind. Es illustriert auch die Harmonie und das Äquilibrium ihres Wirkens, wie es die vier Elemente, die sieben traditionellen Planeten und die zweiundzwanzig Blätter der Rose repräsentieren.

Die drei konzentrischen Ringe hebräischer Buchstaben in der Mitte der Figur sind in Gruppen von je drei, sieben und zwölf Buchstaben aufgeteilt. Die Einteilung ist dem Sepher Yetzirah oder „Buch der Schöpfung“ der antiken Kabbalisten entnommen. Der innere Ring entspricht dem Ersten Orden und den Kräften der Elemente: Der mittlere Ring entspricht sowohl dem Zweiten Orden als auch den Kräften der Planeten, während der äußere Ring dem Dritten Orden und den Zeichen des Zodiaks entspricht.
Lassen Sie uns nun einige der Dynamiken der Psychotherapie untersuchen, um die psychologische Perspektive der Initiation besser zu verstehen. Nach Auffassung einiger Schulen der Psychotherapie tritt ein „Übertragung“ genanntes Phänomen bei effektiver Psychotherapie auf. Übertragung kann beschrieben werden als ein Prozess der Bewusstwerdung eigener unbewusster Konflikte mit den Eltern. Im Verlauf der Psychotherapie beginnt der Klient den Therapeuten als Träger/ Verkörperung dieser unerlösten Konflikte zu sehen. Dies geschieht, wenn die/ der Klient/in die Inhalte seines oder ihres Unbewussten auf den Therapeuten projiziert, etwa so, wie ein Film auf eine Leinwand projiziert wird.
Übertragung spielt auch eine entscheidende Rolle im Prozess der Initiation, nur dass hier der Initiator zur Leinwand für die Projektionen wird. Dies ist ein Grund, warum Initiation ein so extrem effizientes Werkzeug persönlicher und spiritueller Entwicklung sein kann. Es erklärt aber auch, warum Initiation in den Händen eines ungeeigneten oder skrupellosen Führers zu Liebeskummer, Enttäuschung oder sogar zu Tod und Zerstörung führen kann. Mehr noch, weil die Übertragungs- Beziehung mit einem anderen Menschen ein zentraler Faktor in der Initiation ist, ist echte Selbst-Einweihung ebenso unmöglich wie selbständig durchgeführte Psychotherapie.
Wie wir schon erwähnten, ist Psychotherapie begleitend zu Initiationen eine gute Idee, selbst wenn dies nicht immer möglich ist. Aber bestimmte Umstände sollten bedacht sein. Sicherlich sollte der Therapeut oder die Therapeutin fähig sein, Spiritualität als ein gesundes Phänomen zu sehen; idealerweise sollte er oder sie Erfahrung mit spirituellen Themen haben.
Obwohl der Therapeut und der Initiator sich nicht untereinander beraten brauchen, müssen beide gesunde Grenzen in ihrer Beziehung zum Initiierten aufrechterhalten. Es ist niemals eine gute Idee für einen Therapeuten, Material aus Fällen außerhalb der therapeutische Beziehung zu diskutieren. Unglücklicherweise tendieren einige Therapeuten dazu, dieses Material mit Kollegen, Supervisoren und manchmal sogar auf Cocktailparties zu diskutieren, wobei sie glauben, sich ethisch zu verhalten, wenn sie nur den Vornamen des Patienten verwenden.
Sowohl der Therapeut als auch der Initiator müssen von Grund auf verstehen, dass solche Diskussionen nicht stattfinden dürfen. Initiation kann mit einem alchemistischen Prozess verglichen werden: um erfolgreich zu sein, muss das Gefäß- die Beziehung des Kandidaten zu Initiator und Therapeut- hermetisch versiegelt sein. Dies ist ein Grund, warum dem Geheimnis und der Verschwiegenheit in esoterischen Angelegenheiten so viel Bedeutung beigemessen wird. Schweigen erzeugt Kraft und Druck, was dann schlussendlich tiefe spirituelle und psychologische Transformation erzeugt.
Ob die primäre Übertragungsbeziehung zum Initiator oder zum Therapeuten aufgebaut wird, ist relativ unwichtig. Man entscheidet sich nie bewusst für eine Übertragungsbeziehung; es geschieht immer völlig unbewusst und bei jeweils der Person, bei der man fähig ist, sich sowohl zu verlieben als auch sie zu hassen. Was zählt, ist, dass es passiert und dass den negativen Gefühlen und Projektionen erlaubt wird, aufzusteigen, und sie sicher durchgearbeitet werden.

Die früheste Phase diese initiatorischen Prozesses des Ersten Ranges ist symbolisch dargestellt in einem Diagramm, das „ Der Garten Eden vor dem Fall“ genannt wird. Dieses Diagramm, welches dem Initianden im 3=8 Grad des Practicus gezeigt wird, repräsentiert ein Stadium ursprünglicher Unschuld. In diesem Stadium sieht der Kandidat den Initiator in einem unrealistisch positiven Licht als eine Art ideale oder perfekte Eltern.
In diesem Diagramm repräsentiert Eva, die weibliche Figur unten am Baum des Lebens, die ideale Mutter ( und das kabbalistische Nephesh oder die instinkthafte Natur); sie wird dargestellt als Trägerin der Säulen Jachin und Boaz. Adam, der den idealen Vater repräsentiert ( sowie den kabbalistischen Ruach oder den rationalen Aspekt), steht über ihr mit seiner Brust auf der Höhe der Sephirah Tiphareth, die Arme nach Geburah und Chesed ausgestreckt.
Dieses Diagramm repräsentiert die Freude der Unschuld: der Kandidat lebt in einem Zustand des Glücks wegen seines oder ihres Kontakts mit den „idealen Eltern“, wie er oder sie es auf den Initiator projiziert. Dieser Prozess ist nicht unähnlich wie Jungs Darstellung des Sich-Verliebens. Nach Jung projizieren Männer, wenn sie sich verlieben, ihre eigene feminine Seite oder Anima auf die Geliebte; während Frauen ihre innere Männlichkeit projizieren, die Jung als Animus bezeichnet.
Dies ist das Stadium, welches für Missbrauch seitens eines unfähigen oder skrupellosen Initiators anfällig ist. Anschuldigungen sexueller Belästigung, Manipulation, und andere Formen des Missbrauchs sind aufgetreten, nicht nur im Zusammenhang mit Führern okkulter Orden, sondern auch in der breiten esoterischen Bewegung. Wie Jim Jones, David Koresh und der Sonnentempler-Orden bewiesen haben, kann der Missbrauch von Vertrauen auch tödliche Folgen haben.
Bestimmte Vorsichtsmaßnahmen, wie zu Beispiel Gesetze als Verstärkung ethischer Richtlinien, wurden für Psychotherapien aufgestellt. Doch noch gibt es keine solchen Gesetze zum Schutz von Initiierten in esoterischen Bruderschaften, obwohl emotionaler, physischer und sexueller Missbrauch auf diesen Gebieten genau so schädigend sein kann. Die Entscheidung für eine Initiation kann daher mit der Entscheidung, eine Psychotherapie anzufangen, verglichen werden; und die Wahl eines passenden Initiators ist wenigstens so wichtig wie die eines guten Therapeuten. In beiden Fällen sollte man extrem wählerisch sein.
Eine weitere Untersuchung des Diagramms „Der Garten Eden vor dem Fall“ enthüllt die illusionäre Natur der Beziehung zu den idealen Eltern. Man bemerke zunächst das Fehlen der übernatürlichen Sephiroth Kether, Chokmah und Binah auf diesem kabbalistischen Baum des Lebens: sie werden als nur potenziell vorhanden durch die geflügelte weibliche Figur oben am Baum symbolisiert. Diese Figur symbolisiert die Neshamah, oder Göttliche Weiblichkeit, der Kabbalisten. Darüber hinaus steht Eva (die weibliche Figur am unteren Ende des Baums) auf einem zusammengerollten siebenköpfigen Drachen.
Dieser Drache hat eine lange Geschichte. Er kann schon früh in der paläolithischen Periode in Form einer Schlange gefunden werden, die dort ebenso mit den Großen Mutter- Göttinnen als auch mit dem Baum des Lebens assoziiert wird. Die selbe Schlange taucht später in den ägyptischen Mythen von Ra´s Kämpfen mit dem Schlangengott Apep auf. Im gleichen negativen Licht begegnen wir ihr im Neuen Testament, im Buch der Offenbarung, wieder.
Nichtsdestotrotz bleibt die Schlange ein wichtiges Symbol der Auferstehung und Erneuerung des Lebens, denn sie legt regelmäßig ihre alte Haut ab. Wenn sie psychologisch gedeutet wird, repräsentiert dieser schlangenartige Drache, was Jung die Komplexe des persönlichen Unbewussten nennt.
Der sich entfaltende Prozess der Initiation führt unausweichlich zu der Situation, wie sie im Diagramm „ Der Garten Eden nach dem Fall“ dargestellt ist. Dieses Diagramm wird dem Kandidaten bei der Initiation zum 4=7 Grad des Philosophus vorgelegt. Hier steigen die Köpfe des Drachens ins Bewusstsein; wie im Diagramm dargestellt, heften sie sich an die sieben unteren Sephiroth am Baum des Lebens. In dieser Phase wird das Ego des Initiierten von seinen oder ihren Komplexen attackiert. Dies ist ein notwendiger Prozess für die erwachende Psyche, aber es ist ein unangenehmer.

Wie viele Liebesaffären haben tragisch oder mit Enttäuschung geendet? Sowohl die psychotherapeutischen als auch die initiatorischen Prozesse bringen die ungelösten Kindheitskomplexe weiter ans Tageslicht. Der Geliebte, der einst in einem imaginär positiven Licht gesehen wurde, wird nun in umgekehrter Richtung enttarnt. Die Königin des Himmels wird zur Hexe, und der Elfenprinz wird zum Menschenfresser. Die selbe Person, die ehemals „nichts Falsches tun konnte“, kann plötzlich „nichts mehr richtig machen“. Diese negativen Projektionen sind, natürlich, so unrealistisch wie die positiven Projektionen der vorangegangenen Phase.
Es ist entscheidend für das Ergebnis der Initiation, dass den Komplexen des persönlichen Unbewussten erlaubt wird, sich in sicherer und kontrollierter Weise innerhalb der Beziehung zum Initiator zu manifestieren. Das Auftauchen dieser Komplexe kann Ausbrüche irrationalen Verhaltens beim Kandidaten verursachen. Dies kann recht traumatisch sowohl für den Initiator als auch für den Kandidaten sein, da sich beide im unerlösten kindlichen Drama des Kandidaten verwickelt wiederfinden. In diesem Stadium ist das Geschick des Initiators entscheidend. Er oder sie muss sich extrem dessen bewusst sein, was gerade passiert, und muss zeitweise übermenschliche Geduld aufbringen, um die Ausbrüche des Kandidaten zu ertragen.
Diese Situation wird erschwert durch das, was die Psychologen „Gegenübertragung“ nennen, bei der die unbewussten Komplexe des Initiators auf den Kandidaten projiziert werden. Initiatoren und Therapeuten sollten niemals annehmen, dass sie sich komplett ihrer eigenen inneren Prozesse bewusst geworden sind; egal wie viel jemand gereift ist, man ist immer verletzlich durch weiteres Aufsteigen eigenen unbewussten Materials. Der Initiator kann auch irrationales Verhalten zeigen, wodurch die Situation weiter eskaliert.
Diese Phase der Initiationen ist ebenfalls fruchtbarer Boden für Missbrauch durch unfähige oder unethische Initiatoren, die entweder durch ihre eigenen Komplexe geblendet oder versucht sind, die positive Übertragung der ersten Stufe aufrechtzuerhalten. Die Bewunderung durch Schüler kann einen Initiator dazu verführen zu versuchen, die illusionäre Rolle der charismatischen, idealisierten Vaterfigur oder Mutterfigur aufrechtzuerhalten. Doch das wäre Gift für erfolgreiche Einweihung und spirituelles Wachstum und auch für die Gesundheit jeder legitimen spirituellen Organisation.
Initiatoren müssen daher dieser Tendenz unter allen Umständen wiederstehen; andernfalls kann die Initiation nicht weitergehen als bis zu dem Stadium, das in „Der Garten Eden vor dem Fall“ dargestellt ist. Darüber hinaus tritt die negative Übertragung auf jeden Fall auf! Wenn ein Führer unwillig oder unfähig ist, zum Brennpunkt dieser unangenehmen Projektionen zu werden, wird er oder sie ein anderes Objekt, auf das sie projiziert werden, finden ( müssen, Anm. d. Übers.).
Dies führt zu extrem ungesunden Situationen. Skrupellose Anführer sind oft verpflichtet, ein oder mehrere Sündenböcke als Objekt der negativen Projektionen zu finden oder zu erschaffen. Dies kann zu einem Muster von Missbrauch innerhalb, und Ausschluss aus, der Gruppe führen. Im schlimmsten Falle führt es zu steigender Paranoia, wenn die Rolle des Sündenbocks auf einen imaginären Feind oder sogar die Gesellschaft insgesamt projiziert wird. Waco, Texas und Cheiry in der Schweiz wurden zu Monumenten der Gefahr dieser Dynamik.
Momentan hat die esoterische Gemeinschaft viel zu wenig Augenmerk auf die Dynamik von persönlichem Wachstum und Gruppendynamiken gerichtet. Doch es muss daran gedacht werden, dass jedes Mal, wenn jemand mit spirituellen Energien in Kontakt kommt, auch die unbewussten persönlichen Inhalte mit aktiviert werden. Daher müssen esoterische Orden persönliches Wachstum neben dem spirituellen Wachstum fördern. Die Dynamiken persönlicher Interaktionen innerhalb dieser Gruppen muss ebenfalls untersucht werden.
Durch den gesamten Ersten Rang trat der Kandidat nach und nach in eine vollkommen neue Beziehung zu seinem oder ihrem Höheren Selbst. In den frühen Stadien der Initiation wurde diese Beziehung meist durch die unbewussten Projektionen auf den Initiator manifestiert Im Portal-Ritual des Hermetic Order of the Golden Dawn wurde die Grundlage für eine völlig bewusste Beziehung des Kandidaten zu seinem oder ihrem Höheren Selbst gelegt. Diese Geburt ins Bewusstsein tritt dann durch den Eintritt in den Ordo Rosae Rubeae et Aureae Crucis während der Initiation in den 5=6 Grad des Adeptus Minor auf.
Im ersten Teil dieses Rituals wird der Kandidat symbolisch an ein Kreuz gebunden ( welches die Elemente symbolisiert). Diese freiwillige Unterwerfung des Ego unter das Höhere Selbst befreit es zuletzt vom Ansturm der unbewussten Komplexe. Dis wird im Diagramm unten durch das Abfallen der Köpfe des Drachen von den Sephiroth symbolisiert.

Nach diesem Teil des Rituals wird der Kandidat zum ersten Mal in das Gewölbe der Adepten gebracht. Dieses Gewölbe, eine hoch aufgeladene magische Kammer, ist der symbolische Begräbnisplatz des Christian Rosenkreutz ( Frater CRC). Als Platz, wo der Initiierte wiedergeboren wird, hat das Gewölbe sowohl Anteil an der Symbolik des Grabes wie auch an der des Mutterschoßes .
In der Kammer wird der Kandidat zum Kopf des Pastos geführt, dem symbolischen Sarkophag des Christian Rosenkreutz. Wenn der Deckel des Pastos irgendwann abgenommen wird und die darin liegende Figur des Hauptadepten ( des Initiators) enthüllt, wird der Kandidat symbolisch durch einem Einstrom des Bewusstseins vom Höheren Selbst erleuchtet. Der neue Adept beginnt damit eine völlig neue und voll bewusste Beziehung mit diesem Höheren Selbst ( wie im nächsten Diagramm gezeigt).

Im Verlauf dieser Untersuchung haben wir ein Verständnis der zugrunde liegenden psychologischen und magischen Prozesse der echten Initiation gewonnen. Dies ist aber nicht das Ende. Vor vielen Jahren hat Regardie zu weiterer Erforschung der Integration von Psychologie und Magie aufgefordert. Tatsächlich kann man den Überschneidungsbereich dieser beiden Felder „ Esoterische Psychologie“ nennen. Diese Untersuchung war ein Versuch, einen kleinen Beitrag zu diesem neu entstehenden Feld zu leisten. Die Arbeit hat jedoch gerade erst begonnen. Am Wendepunkt zum neuen Millennium, zehn Jahre nach Regardies Tod, fühlen wir uns verpflichtet, seinen Appell zu weiterer Forschung zu wiederholen: „ Wer immer darin erfolgreich ist, diese beiden ( Psychologie und Magie) zu verbinden, dem wird die Menschheit für immer dankbar sein.“